Die Presse beschrieb das Nova Orchester Wien einmal als eine „visionäre Wiener Klangkultur“. Der Satz stammt aus der Rezension zum Bruckner Konzert im Jahr 2024, als das Orchester Bruckners Vierte Symphonie im Großen Saal des Wiener Konzerthauses aufführte. Dieser Moment markierte einen Wendepunkt für das Ensemble. Um zu verstehen, wie es dorthin gelangte, muss man zum Ursprung zurückkehren, zu einer Zeit, in der seine Existenz kaum möglich schien.
Die Geschichte beginnt im Mai 2020. Wien lag still, die Konzertsäle waren geschlossen, und das musikalische Leben der Stadt war durch den ersten Lockdown vollständig zum Erliegen gekommen. In dieser Situation erreichte eine unerwartete Anfrage das Team. Das G20 Economic Forum bat darum, zwanzig Musikerinnen und Musiker aus zwanzig verschiedenen Ländern für eine digitale Aufführung unter der Leitung von William Garfield Walker zusammenzubringen. Die Bedingungen waren chaotisch. Grenzen änderten sich täglich, Flüge wurden gestrichen, und jede Probe erforderte Entschlossenheit statt Planungssicherheit. Eine Musikerin reiste sogar aus Berlin an, trotz der komplizierten Reiseauflagen. Inmitten dieser unwahrscheinlichen Umstände formte sich die Identität des Orchesters. Von Beginn an war es ein Ensemble, das die Musiker in den Mittelpunkt stellte. Musik zuerst, getragen von der inneren Notwendigkeit der Beteiligten, nicht von Struktur oder Strategie.
Im Sommer öffnete Österreich kurzzeitig. Am 15. Juli fand die Aufführung statt, übertragen durch Radio Klassik Stephansdom. In einem Moment, in dem Live Musik nahezu unmöglich erschien, erreichte sie ein Publikum, das seit Monaten keine Konzerte erlebt hatte. Innerhalb des Ensembles war sofort klar, dass dieses Projekt nicht einfach enden konnte. Die Energie war zu eindringlich, die musikalische Verbindung zu stark. Das Orchester existierte, noch bevor es einen Namen trug.
Aus diesen ersten Monaten entwickelte sich ein kontinuierlich arbeitendes Ensemble, das zunehmend größere künstlerische Projekte realisieren konnte. Saison für Saison wuchs seine Stabilität und damit die Basis für ambitionierte Programme, herausragende Solistinnen und Solisten und eindrucksvolle Auftritte auf immer bedeutenderen Bühnen.
Im Herbst 2020 bereitete das Orchester seine erste Konzertreise in Zusammenarbeit mit dem Österreichischen Kulturforum Mailand vor. Als erneute Einschränkungen Reisen unmöglich machten, passte sich das Ensemble schnell an und produzierte stattdessen eine Sendung für das italienische Publikum zum österreichischen Nationalfeiertag. Dieser Schritt bestätigte etwas Grundlegendes. Nova konnte sich rasch neu ausrichten, ohne künstlerische Qualität einzubüßen.
Das erste öffentliche Konzert fand im Herbst 2021 im Brahms Saal des Wiener Musikvereins statt. Das Orchester kehrte 2022 dorthin zurück und erhielt hervorragende Kritiken. 2023 folgte der erste Auftritt im Mozart Saal des Wiener Konzerthauses. Diese Konzerte machten deutlich, dass ein Ensemble, das zwischen Lockdowns entstanden war, sich in Wien zu einer festen musikalischen Größe entwickelte.
Im September 2024 wurde diese Entwicklung unübersehbar. Die Aufführung von Bruckners Vierter Symphonie im Großen Saal des Konzerthauses, in Zusammenarbeit mit der Internationalen Bruckner Gesellschaft zum Bruckner Jahr, setzte einen markanten Höhepunkt. In diesem Zusammenhang schrieb Die Presse von einer „visionären Wiener Klangkultur“. Der Ausdruck fasste jenes künstlerische Profil zusammen, das seit den ersten Tagen spürbar gewesen war.
2025 beginnt für das Orchester ein neues Kapitel mit seinem Debüt im Großen Saal des Wiener Musikvereins sowie der Rückkehr in den Großen Saal des Konzerthauses für ein weiteres bedeutendes Programm.
Im Lauf seiner Entwicklung arbeitete das Orchester mit Künstlerinnen und Künstlern wie Narek Hakhnazaryan, Maria Nazarova und Pieter Wispelwey zusammen. Die Musikerinnen und Musiker stammen heute aus mehr als dreißig Ländern und teilen eine musikalische Sprache, die von Intensität, Präzision und Neugier geprägt ist. Die Resonanz der Kritik spiegelt dies seit Jahren wider.
Im fünften Jahr seines Bestehens steht das Nova Orchester Wien als Ergebnis von Entscheidungen, die aus künstlerischer Notwendigkeit getroffen wurden, nicht aus langfristiger Planung. Entstanden im Lockdown, sichtbar geworden in kurzen Momenten zwischen Einschränkungen, und gewachsen mit zunehmender Kraft weit über die Pandemie hinaus, setzt das Ensemble heute seine Arbeit mit dem Ziel fort, auszuloten, was orchestrale Musik unserer Zeit ausdrücken kann. Die Kraft, die seinen Anfang formte, prägt seinen Weg bis heute.